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Seit ich das erste Mal auf einer leeren Bühne stand, zieht mich die Spannung zwischen Struktur und Auflösung magisch an. Als Theatermacher suche ich den Augenblick, in dem vertraute Ordnungen zerspringen und das Unvorhersehbare Einzug hält. Wenn das Publikum spürt, dass das Gewohnte bröckelt entfaltet Kunst für mich ihre stärkste Geste.
Führen heißt für mich, aufmerksam zu hören, ohne sich selbst zu verlieren – ein Wechselspiel aus Resonanz und Richtung. In meiner Arbeit als Führungskraft wird dieses Gleichgewicht zum täglichen Handwerk. Jede Stimme zählt, jeder Blick hat Bedeutung. Gleichzeitig braucht ein Team klare Konturen: Überzeugungen, die Orientierung geben, und eine Form, die dem Inhalt erst Tiefe verleiht. Gute Ideen brauchen Halt, um Wirkung zu entfalten.
Führung heißt für mich auch, Entscheidungen zu treffen, wenn andere noch zögern – aus Verantwortung für das Ganze. Ich nehme mir Zeit, um Menschen wirklich kennenzulernen. Vertrauen wächst nicht im Vorbeigehen. Und wenn das Zusammenspiel ins Stocken gerät, ist es meine Aufgabe, den Takt wieder aufzunehmen.
Mein künstlerischer Kosmos bewegt sich zwischen Theater, Musik, Video, Mode, Design und Architektur – immer auf der Suche nach genreübergreifenden Grenzerfahrungen. Ich denke in Räumen, höre in Bildern, formuliere in Klängen.
An analogen Synthesizern verliere ich mich in verrauschten Obertönen – und finde in präzisen, kantigen Klanggebilden wieder heraus. Meine Arbeit lebt vom kontrollierten Kontrollverlust: Ich liebe das Chaos, aber nicht ohne Struktur. Erst wenn Form und Freiheit ein Gleichgewicht finden, entsteht etwas, das trägt.
Ästhetik ist für mich praktische Orientierung: Die Wahl von Kleidung, Farben und Klängen ist kein Beiwerk, sondern integraler Teil meiner künstlerischen Prozesse. Jeder Pinselstrich wird zum Experiment, jeder Ton zur Wegmarke. Wenn etwas nicht funktioniert, eröffnet sich Raum für neue Ideen. Avantgardismus ist mein Leitbild – er hält klare Formen und offene Spielräume im Gleichgewicht.
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Can Fischer (*13. Mai 1984) ist ein deutsch-türkischer Kulturmanager, Schauspieler, Regisseur, Autor und Musiker. Er begann seine berufliche Laufbahn als Aufnahmeleiter beim Fernsehen, bevor er ab 2005 ein Schauspielstudium in Berlin absolvierte. Von 2008 bis 2011 war er Ensemblemitglied am Stadttheater Bielefeld, anschließend arbeitete er bis 2016 im künstlerischen Betriebsbüro des Maxim Gorki Theaters in Berlin. Parallel entstanden erste eigene Regiearbeiten, unter anderem an der Volksbühne Berlin (Roter Salon) und in der freien Szene.
2009 gründete Fischer gemeinsam mit Lissy Pernthaler das freie Theaterkollektiv „Kreaturen Verbund“, das 2010 als „Deutschlands Kultur- und Kreativpiloten“ nominiert wurde. In den Folgejahren war er unter anderem stellvertretender Theaterleiter am Theater des Westens in Berlin, stellvertretender Intendant und Künstlerischer Leiter der Kammeroper Köln sowie Mitglied der Studiengangsleitung im Studiengang Gesang/Musiktheater an der Universität der Künste Berlin. Zudem war er Künstlerischer Leiter an der Pumpe in Berlin.
Als Autor verfasst Fischer eigene Theaterstücke sowie Bühnenbearbeitungen literarischer und filmischer Vorlagen. Sein bekanntestes Stück Homevideo wurde an zahlreichen Bühnen im In- und Ausland gespielt und 2014 für den JugendStückePreis beim Heidelberger Stückemarkt nominiert. Weitere Werke wie Zart, Ich will kein Kleid mehr tragen oder Dein Leben gehört mir wurden ebenfalls erfolgreich aufgeführt. Seine Stücke erscheinen u. a. bei Hartmann & Stauffacher sowie im Verlag der Autoren.
Seit 2019 ist Fischer zudem musikalisch tätig, unter anderem als Mitglied des Berliner Elektronikprojekts „Orbital Gloom“ und Gründer des Musik- und Theaterlabels „Oud Rooms“. Seine Arbeiten bewegen sich zwischen Theater, Musik, Video, Mode, Design und Architektur — immer auf der Suche nach genreübergreifenden Grenzerfahrungen.